Paxx Reloaded

Wieder da: Sex-, Drugs-, Peace- and Rock'n'Roll Libertarians

Johnny aus Oberhausen

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jaa_duesseldorfUm zu illustrieren, wie sehr der Spät-Etatismus (insbesondere in unserer ihren letzten Tagen entgegendämmernden Republik) mit seinem Latein am Ende ist, möchte ich Euch heute mal eine Geschichte aus meinem eigenen privaten Umfeld erzählen. Der Staat als territorialer Gewalt- und Rechtssetzungsmonopolist scheitert nicht erst wo er gesellschaftliche Bereiche okkupiert, die der klassische Liberalismus noch der Sphäre der Gesellschaft zuwies, sondern schon in seinem Kernbereich, der Gewährleistung der Herrschaft des Rechtes, seiner Setzung und Durchsetzung.

Ein junger Mann vom Niederrhein mit dem ich seit einigen Monaten freundschaftlichen Umgang pflege – nennen wir ihn „Johnny“ – hatte bei einer Jugendfete um die Weihnachtszeit 2012 etwas über die Strenge geschlagen. Johnny, damals 18 Jahre alt, hatte etwas zu tief ins Glas geschaut und es an mittelenglischen Umgangsformen fehlen lassen, so daß die Gastgeber, eine Gruppe Grobiane vom Lande, ihn unsanft hinauskomplimentierten. Es gab dann wohl eine Rangelei und Johnny sah in der aufgeheizten Atmosphäre nurmehr die Chance, durch Verlassen des Schauplatzes der Auseinandersetzung einer weiteren Eskalation vorzubeugen, dabei allerdings streifte er wohl (im Zustand der Trunkenheit) einen der um seinen Wagen herumstehenden jungen Grobiane, den er damit leicht verletzte, was zu wütenden Attacken der Gruppe auf sein Fahrzeug führte. Johnny fuhr dann mit dem Wagen zu sich nach Hause in einen idyllischen Vorort „Oberhausens“ und wurde ein paar Stunden später von der Polizei abgeholt. Soweit mutatis mutandis der ungefähre Sachverhalt.

Zum Zeitpunkt dieser Ereignisse kenne ich Johnny nur aus einem oder zwei flüchtigen Chats auf Facebook. Nun hörte ich plötzlich nichts mehr von ihm, was ich aber nicht auf mich bezog, da unsere erste Unterhaltung mir ausgesprochen positiv in Erinnerung war und bis heute geblieben ist. Nach ca 72 Stunden Funkstille und dem Verstreichen einer Chat-Verabredung dämmerte in mir der Verdacht herauf, Johnny könnte in Schwierigkeiten stecken und irgendetwas Ungutes sei passiert. Ich schrieb ihn an via Facebook aber erhielt natürlich keine Antwort, der Junge war wie vom Erdboden verschluckt.

Da ich sonst über keinerlei Kontaktdaten von ihm verfügte, nicht einmal wußte, ob Johnny wirklich Johnny heißt, konnte ich ihn auch nicht anrufen. Auf seinem Facebook-Profil als einzige Recherchegrundlage suchte ich mir dann einen seiner engsten Kontakte der mir sein Freund zu sein schien – nennen wir ihn „Magnus“ – und habe den einfach mal angehauen, ob er mir sagen könne, was mit Johnny los sei. Und der setzte mich auch sogleich ins Bild, über die gründlich mißlungene Party, die Verhaftung, die Blutprobe, den Führerscheinentzug und die Verzweiflung, die Johnny wohl veranlaßte in einer Kurzschlußhandlung einfach mal davonzulaufen – sowie die Anstrengungen die Magnus unternahm, Johnny wiederzufinden (eine Aufgabe, an der die deutsche Polizei mit ihren vom Steuerzahler finanzierten Ortungssystemen zuvor grandios scheiterte, während der 16jährige Magnus dazu nur sein Handy benötigte). Ich bedankte mich bei Magnus und ließ ihm Johnny aufmunternde Grüße ausrichten verbunden mit dem Wunsch, Johnny möge zu mir telefonisch Kontakt aufnehmen damit ich ihm allfällige Hilfe (wie immer die auch aussehen könnte in dieser mißlichen Situation) anbieten könne.

Es dauerte noch eine Weile, bis Johnny, der erst einmal die Nackenschläge zu verarbeiten hatte, sich tatsächlich bei mir meldete und mir nicht nur berichtete, was sich in der Horrornacht zutrug, sondern auch aus seinem bisherigen Leben erzählte, das vor allem geprägt war durch eine gebrochene Schulbiographie eines aufgeweckten jungen Mannes der augenscheinlich über ein ganzes Bündel mannigfaltiger Talente und ein gerüttelt Maß an Intelligenz verfügte. Die Kernthese (nicht nur) libertärer Staatsschulkritik ist ja gerade, daß das herrschende Zwangsschulsystem nicht nur den „schwächeren“ (i.e. manuell geschickteren) sondern auch und gerade den hochbegabten Schülern Fallstricke in den Weg legt und sie nicht eben selten scheitern läßt. Schulerfolg hat hierzulande nur der auf Anpassung getrimmte Medianschüler.

In den vielen, oftmals sehr langen nächtlichen Gesprächen entwickelte sich zwischen uns ein Vertrauensverhältis das freilich auch erst die eine oder andere Bewährungsprobe zu bestehen hatte. Johnny, dem durch die nocte horribilis der Schrecken nachhaltig in die Glieder gefahren war, erkannte peu à peu, daß er in seiner derzeitigen Lebenssituation in eine Sackgasse geraten war und grundlegend die Dinge ändern müsse. Seit seinem Schulabbruch bestand sein Alltag im wesentlichen aus Prokrastination und virtuellen Formen der provokativen Selbstdarstellung. Er selbst war mit dieser Situation extrem unzufrieden, aber erst in den Diskussionen mit mir, der ihn nicht verurteilte und schurigelte sondern mit Empathie auf ihn einging und vor allen Dingen: ZUHÖRTE entwickelte Johnny – er nannte mich inzwischen seinen „Mentor“ – dann sehr schnell und wie ich betonen möchte aus eigenem Antrieb den eisernen Willen, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Ich hatte ihm meine eigene Geschichte (ungeschönt, also mit all ihren Niederlagen und Brüchen!) geschildert und wie dankbar ich war, daß ich schließlich mit 26 Lenzen im Jahre 2002 doch noch auf dem zweiten Bildungsweg (nachdem ich zuvor auf meinem Cannstatter Gymnasium 1994 als Maastricht-Gegner politisch verfolgt worden war) mein Abitur nachholen konnte und wie wertvoll und prägend dieser Lebensabschnitt auch heute noch in der Rückschau für mich ist. Als ich Johnny dann im Frühjahr auf der Rückreise von einem Gummersbacher Liberalismus-Seminar in Oberhausen besuchte, erfreute er mich schon bei der Begrüßung mit der Kundgabe: „Ich habe nachgedacht. Ich werde mein Abitur doch noch machen!“ Schnell recherchierte er, an welcher Schule das noch möglich sei und schließlich fand er eine die von ihrem Angebot wie angegossen zu ihm paßte und ihn auch nehmen wollte. Johnny meldete sich umgehend an und die Metamorphose die er dann bis Anfang September (NRW-Schulbeginn) durchlebte war schlicht atemberaubend: Aus dem kleinen Gammler der bis dato in einer schmuddeligen Räuberhöhle hauste wurde wurde ein sehr ordentlicher junger Erwachsener, der noch vor dem ersten Hahnenschrei aufstand und sich in Bibliotheken und Lernzirkeln auf den bevorstehenden Schulanfang vorbereitete, der den erstaunten Besucher in einer stilvoll eingerichteten und super in Schuß gehaltenen kleinen Wohnung zu empfangen sich die Ehre gab und der sein Taschengeld statt in Krempel und Klamotten fortan in Lehrbücher und Schulmaterialien investierte und der seinen Tagesablauf durchstrukturierte wie ein Schweizer Uhrwerk. All das, wohlgemerkt, ohne äußeren Druck, einzig aus innerer Überzeugung.

Innerhalb eines Dreivierteljahres hat da ein junger Mann einen respektgebietenden Reifungsprozeß durchlebt, den kein anderer als sein Verdienst für sich reklamieren kann als er selbst! Während Johnny zu einem mustergültigen angehenden Abiturienten aufblühte mahlten die Mühlen der deutschen Strafjustiz gemächlich vor sich hin um zu einer juristischen Aufarbeitung des weihnachtlichen Unfriedens vom Vorjahr zu gelangen. Zunächst wurde ein auf Sommer datierter Prozeßtermin wieder um einen Monat in den September verschoben, so daß die Hauptverhandlung nun auch noch in die beginnende Schulzeit Johnnys fiel, was für einen inzwischen 19jährigen der ohnehin sein ganzes Leben umstellt eine nicht unerhebliche seelische Belastung darstellt.

Neun Monate nach der Tat bequemte man sich nun also in einem Jugendschöffengericht in Oberhausen der Frage auf den Grund zu gehen, wie es sich denn nun eigentlich alles zugetragen habe. Eine zähe Beweisaufnahme erparte Johnny dem Gericht indem er sein Fehlverhalten einräumte, insbesondere fahrlässige Körperverletzung (die freilich materiell keinen Schaden hervorrief, das mutmaßliche Opfer suchte nicht einmal einen Arzt auf, von weitergehenden Forderungen, etwa Schmerzensgeld, war nie die Rede) sowie eine Trunkenheitsfahrt in der Tatnacht. Der Richter – nennen wir ihn „Richter Dilga“ – war nicht nur aus den Akten bestens über den Sachverhalt informiert sondern auch über die Person Johnny die eben bis zu jenem Fiasko unleugbar ein sehr öffentliches Leben als enfant terrible führte und deren Bekanntheitsgrad in Oberhausen notorisch ist. Auf mich machte der Richter, das muß ich bekennen, einen überaus (auch in sozialer und menschlicher Hinsicht) kompetenten und, wie es im Juristendeutsch heißt, der „Lebenswirklichkeit“ überaus zugewandten Eindruck. Jedenfalls war er ein anderes Kaliber als der intransigente und vorwurfsvoll knarzende Staatsanwalt. Dieser warf Johnny  im Plädoyer gar dessen „Erscheinung“ vor, insinuierte, daß er mit seinem ansprechenden Äußeren (Johnny wird oft für ein Model gehalten hat aber noch nie wirklich als solches gearbeitet) „Eindruck schinden“ wolle und deswegen wohl auch ins Fitnesstudio ginge! Die bizarre Message: so ein Poser gehört bestraft!

In dem Moment mußte ich an zurückdenken an die unvergeßliche „Talk im Turm“ Runde mit Erich Böhme aus dem Jahre 2000, als der kauzige SPD-Zausel Freimut Duve gegen den österreichischen „Feschisten“ Jörg Haider „Argumente“ ähnlicher Qualität meinte ins Feld führen zu müssen. Duve starrte damals auf die modischen Accessoires seines eloquenten österreichischen Sitznachbarn und fauchte: „Sie verführen die Jugend ja schon durch Ihr modisches Auftreten, diese Stiefeletten da…Ihr ganzes Auftreten…!“ Darauf ein überlegen grinsender Haider, ihm gönnerhaft die Hand tätschelnd: „Segns Herr Düwe (!) wann I Sie beraten tät könnt ma aus Eana auch noch an gescheitn Typn mocha!“

Jedenfalls zogen sich im Laufe der Verhandlung Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger zum Rechtsgespräch zurück und heraus kam als Urteilsspruch: 1 Woche Jugendarrest und Fleppe weg (für ein weiteres halbes Jahr nachdem Johnny des Führerscheins ja schon in der Tatnacht verlustig ging und seither 9 Monate zu Fuß geht). Ein hartes Urteil ohne Zweifel, vor allem wenn man in Relation betrachtet was in dieser Republik für vergleichsweise milde Urteile gegenüber brutalen Schlägern und Gewalttätern an der Tagesordnung sind. Meine Kritik an der verfügten Arrestfestsetzung möge im folgenden nicht als Richter- oder Urteilsschelte mißverstanden werden (das Gericht hat im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten durchaus maßvoll agiert und mit den Einlassungen des Vorsitzenden Richters Dilga in der Urteilsbegründung kann ich mich, wenn man den verspäteten Zeitpunkt diskontiert, sogar weitgehend identifizieren), sondern ist bei mir als Institutionenkritik intendiert.

Mehrere Fragen nämlich drängen sich geradezu auf: Wie kann es sein, daß ein erheblicher Eigriff in die Grundrechte eines Menschen – und nichts anderes stellt ein Freiheitsentzug dar, auch wenn er „nur“ temporärer Natur ist – verhängt werden kann wo kein oder ein kaum nachweisbarer materieller (körperlicher) Schaden an irgendwelchen Rechtsgütern entstanden ist? Wie kommt es, daß deutsche Jugendgerichte die Maßnahme „Jugendarrest“ mittlerweile standardmäßig verhängen und zwar ausdrücklich bei „gutartigen“ Delinquenten, ein Rechtsinstitut immerhin, über dessen Entstehungszeit der geneigte Leser folgendes erfährt:

„Der Jugendarrest wurde 1940 durch die Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechtes eingeführt und 1943 in das Reichsjugendgerichtsgesetz eingefügt. Seitdem hat sich wenig an den Vorschriften zur Verhängung von Jugendarrest geändert – lediglich die Maximalzahl der Freizeitarreste wurde 1990 von vier auf zwei abgesenkt.“ Bemerkenswert in einem Land, das sonst so viel auf seine multiplen Entnazifizierungen einzubilden sich erkühnt.

Hinzu kommt daß in der juristischen und erziehungswissenschaftlichen Fachliteratur die Maßnahme als, gelinde gesagt, fragwürdig gilt. Die Rückfallquote liegt, je nach Erhebung, zwischen 60 und 70 Prozent. Ich empfehle hierzu pars pro toto folgende Studien: „Erzieherische Ausgestaltung des Jugendarrestes: Entwurf einer Rahmenkonzeption“ von Alexandra Leu von Vdm Verlag Dr. Müller (Mai 2007) sowie „Vollstreckungs- und vollzugsrechtliche Probleme des Jugendarrests: Rechtfertigung von Abschaffung oder Reform des Zuchtmittels?“ von Sandra Brücklmayer, Verlag Dr. Kovac; Auflage: 1., Aufl. (Juli 2010) sowie „Retaliative und restitutive Möglichkeiten sozialer Kontrolle: Eine Gegenüberstellung von Jugendarrest und Mediation“ von Jörg Trinks, Grin Verlag; Auflage: 1. (Februar 2011). Zur grundsätzlichen libertären Kritik an einem Strafrecht, in dem der Bestrafungsgedanke den der Restitution überlagert, sei einmal mehr auf die bahnbrechende rechtsphilosophische Arbeit von Murray N. Rothbard: „Die Ethik der Freiheit“ verwiesen.

Und wenn der erzieherische Gedanke eines „Warnschusses“ hier im Fordergrund stehen soll – wer kann nach 12 (!) verstrichenen Monaten (Johnny muß nun an Weihnachten 2013 in den Bau!) noch ernstlich und bei voller Zurechnungsfähigkeit von „Warnschuß“ reden? Zweck der Maßnahme sei es, so die allgemeine Begründung, die Verhaltensbesserung zu bewirken. Diese ist zumindest aber im Falle Johnny lange eingetreten bevor der „Rechtsstaat“ mit seinem schwerfälligen Sanktionsapparat, der zudem in der Causa Johnny mit Kanonen auf Spatzen schießt, ausgeschlafen hatte! Einen kausalen Nexus zwischen dem Freiheitsentzug nach einem Jahr und Johnnys Läuterung schon Monate zuvor an den Haaren herbeizukonstruieren wird selbst dem verwinkeltsten Advokaten schwerlich gelingen.

Johnnys Sozialprognose ist gleichwohl eine überaus günstige, aber nicht weil, sondern obwohl man ihn für eine Woche völlig unnötigerweise wegsperrt. Die Qualitäten dieses jungen Mannes, der dabei ist, ein erstklassiger Abiturient zu werden und schon zielstrebig auch die Wahl eines künftigen Studienfaches ins Auge faßt, hätte man lediglich früher erkennen und fördern sollen, ihm Raum für die Entfaltung seiner Potentiale einräumen anstatt über seine durchwegs harmlosen Lausbubenstreiche, die der Herr Staatsanwalt noch einmal aufzulisten sich nicht nehmen ließ, in den gouvernantenhaften Empör-Modus zu verfallen. Johnny wird seinen Weg erfolgreich fortsetzen, daran werden auch die eklatanten Fehlleistungen staatlicher Zwangsinstitutionen in seinem Falle nichts ändern können.

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Written by dominikhennig

23. September 2013 at 17:41

Veröffentlicht in Recht vs. Staat

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Rand Paul macht Schluss mit dem ganzen Ron-Paul-Revolutions-Spuk

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Von Karl Kraus stammt die Weisheit, der Begriff „Familienbande“ trüge den „Beigeschmack von Wahrheit“. Mit diesem Ganovenstück ist nun vor allem eines klargestellt: die seit 2008 (vorübergehend sogar erbittert auf Paxx.tv und andernorts) geführte Debatte ad 1) des Für und Wider von Parteipolitik sowie ad 2) des Für und Wider einer Ankoppelung an kulturkonservative (und damit folgerichtigerweise staatstolerante) Strömungen haben die Paxxies gewonnen. Und zwar nicht nach Punkten, sondern durch K.O.!

Alles andere ist letztlich jetzt eine – traurige – Familienangelegenheit.

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Lernen von den Manchesterliberalen: Für einen radikalen und aggressiven Liberalismus

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Lernen von den Manchesterliberalen: Für einen radikalen und aggressiven Liberalismus

 
von Kalle Kappner

 

„There is no human event that has happened in the world more calculated to promote the enduring interests of humanity than the establishment of the principle of free trade. I don’t mean in a pecuniary point of view, or as a principle applied to England, but we have a principle established now which is eternal in its truth and universal in its applications. It is a world’s revolution and nothing else.“ – Richard Cobden, 1846
 
Richard Cobden und John Bright
Die Geschichte der englischen Manchesterliberalen übt eine große Faszination auf klassisch liberal und libertär gesinnte Menschen aus. Der Erfolg der ersten professionellen Freihandelslobby der Geschichte ging dabei weit über deren konkretes Ziel – die Abschaffung der agrarprotektionistischen Corn Laws – hinaus: Die Forderung nach universalem Freihandel und internationalem Frieden, sowie konsequenter Antikolonialismus brachten das klassisch-liberale Programm pointiert und massenwirksam auf den Punkt: Frieden, Freiheit, Wohlstand, für alle! Die Manchesterliberalen um Richard Cobden und John Bright dienen heute vielen als leuchtendes Beispiel eines aggressiven – ja auch populistischen – Liberalismus im Interesse der einfachen Menschen, die sich durch den protektionistischen Leviathan ausgebeutet fühlen.
 
Weiterlesen hier.

Written by dominikhennig

10. Mai 2012 at 01:35

Veröffentlicht in Uncategorized

Abschied von Roland Baader

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Am 8. Januar ist Roland Baader nach langer schwerer Krankheit verstorben. Wir Freunde der Freiheit verlieren mit ihm den wortgewaltigsten und unerschrockensten Kämpfer für unsere gemeinsame Sache. Roland Baader verdanke ich persönlich sehr, sehr viel.

Ich trauere um den größten und kämpferischsten Freiheitsdenker deutscher Zunge, dem ich am meisten vor allen anderen verdanke, in den Irrungen und Wirrungen meiner Sturm- und Drangzeit letztlich doch den Weg zur Idee der Freiheit gefunden zu haben. Ohne seine mich schon als Schüler seit den frühen 90er Jahren inspirierenden Bücher und Veröffentlichungen (etwa in Criticón, in der Schweizerzeit und der Jungen Freiheit und später dann vor allem in seinem Leib- und Magenblatt eigentümlich frei) wäre meine geistige Entwicklung wohl sehr viel unerfreulicher verlaufen.

Roland Baader war ein Leuchtturm für so viele von uns. Sein Lebenswerk wird weiter ein Leuchtfeuer sein, das uns Orientierung bietet und diesen großartigen Menschen unsterblich macht.

Unvergessen, was er uns ins Stammbuch schrieb: „Gefährlicher für die Bewahrung der Freiheit als die erklärten Freiheitsfeinde sind die Lauen, die Gleichgültigen und die Abwiegler, jene, die verkünden, bei der Zerstörung der Freiheit werde „nichts so heiß gegessen wie gekocht“. Diese nützlichen Idioten auch einem im Topf von Kannibalen befindlichen Menschen erklären, er möge sich beruhigen, weil „nichts so heiß gegessen wie gekocht“ werde.“

„Wir trauern um einen Freund“ , diese Worte von ef-Herausgeber André F. Lichtschlag sprechen sicher jedem von uns aus dem Herzen. Die nächste Ausgabe von „eigentümlich frei“ wird Roland Baader gewidmet sein.

Am Wochenende werde auch ich Roland Baader noch ausführlicher an dieser Stelle würdigen.

Written by dominikhennig

11. Januar 2012 at 00:07

Veröffentlicht in In eigener Sache, Klassiker

Über liberale Staaten, soziale Marktwirtschaften, schwangere Jungfrauen und andere Dinge, die es nicht gibt

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Zwei herausragende Lektüreempfehlungen für die Zeit „zwischen den Tagen“, die wir unseren Lesern allerwärmstens ans Herz legen möchten:

 

1.) „Die soziale Marktwirtschaft: Das gescheiterte neoliberale Projekt“ auf Mises.de

 

2.) „Klassischer Liberalismus versus Anarchokapitalismus“ auf Apriorist.de

 

Viel Freude mit diesen beiden exzellenten Texten und ein besseres neues Jahr 2012 wünscht Euch/Ihnen die Paxx-Redaktion!

 

 

 

 

Occupy – der faschistische Staat okkupiert die letzten Reste von Markt- und Bürgerfreiheit

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Die Freiheitsfabrikanten bringen es in dankenswerter Klarheit auf den Punkt:

„Die Occupy Wall Street Bewegung ist, soziologisch gesehen, klassisch faschistisch. Die von der Krise bedrohten Kleinbürger verlangen nicht wie die (Staats-) Sozialisten generelle Verstaatlichung oder wie die (Staats-) Kommunisten Sozialisierung von allem Eigentum, sondern machen Juden=Spekulanten für die Krise verantwortlich: Für die Krise halten sie die unruhigen Märkte, die in Wirklichkeit dabei sind, die staatlich verursachten Probleme so gut wie möglich auszugleichen. Als Lösung wird die durchgreifende staatliche Regulierung der Märkte angesehen: Die Idee dahinter ist Eigentum ohne Markt. Hartnäckig weigern sie sich anzuerkennen, dass die akute Krise die dem Krieg notwendig folgende Rezession darstellt: Werte, durch Inflation finanziert, sind vernichtet worden und dies hat unweigerlich zur Folge, dass der Lebensstandard sinken muss. Die Krise löst Verteilungskämpfe aus, denn die Frage lautet, bei welchen Personengruppen der Lebensstandard sinkt. Hartnäckig weigern sie sich anzuerkennen, dass die Politiker und Parteien, die sie selbst gewählt und deren Kriege sie mit Hurra und moralischer Rechthaberei legitimiert haben, die Krisenursachen darstellen. Im Gegenteil, von ihnen wird die Lösung erwartet. Auch darin ist die OWS-Bewegung (gleiches gilt für die Protest-Bewegung in Griechenland) faschistisch: In ihr drückt sich als scheinbar spontaner Straßenprotest das Interesse der Herrschenden aus. Denn wenn die Forderungen der OWS-Bewegung durchgesetzt werden, werden genau die Leute, die die Bewegung tragen, weiter verlieren, während die herrschende Klasse aus Staatslenkern und Staatskapitalisten als Sieger dastehen. Ob die bürgerlichen Freiheiten dann jedoch noch so weit intakt sind, dass sich neuerlicher Protest wird artikulieren können, steht dahin. Denn die Liquidierung des Liberalismus steht ganz oben auf der Tagesordnung von OWS, Obama, Merkel und wie sie alle heißen.“ — Stefan Blankertz

„Das derzeitige System des “Sozialstaats” ist der permanente Verteilungskampf, nicht nur in der “Krise”. Der fürsprechende Politiker, der Gewerkschaftsboss, der Lobbyist ist nur der sichtbare Kopf der jeweiligen Interessensgruppe, ihre Projektion. Ich würde da niemanden in Watte packen. Sie wollen es, sie laufen ihren Führern nach, sie plappern ihre Parolen, konstruieren ihre Feindbilder, die Führer greifen wiederum auf, sind mehr Resultat als Schöpfer ihrer Bewegung … Und sie bekommen alle, was sie verdienen.

Ich finde dazu immer noch das bastiatisch inspiriertere Bild der “churning society”, der Umrührgesellschaft von A. de Jasay am treffendsten.
Jeder versucht dem anderen so tief wie möglich in die Tasche zu greifen, um am Ende nicht als “der Dumme” dazustehen. Aber in der Masse gesehen kommt damit kaum einer wirklich voran. Es ist nur ein ewiges Hinundher, ein neidiges Gerühre.
Jeder Streik ist Ausdruck dafür. Mehr Lohn für sich selbst, vielleicht noch für die “eigenen Leute”, die Kollegen, definitiv nicht für alle. Das würde ja keinen Sinn ergeben. Mehr für mich auf Kosten anderer. Wer diese anderen sind, will man gar nicht so genau wissen. Am besten eignet sich dazu ein völlig diffuses Feindbild. Je absurder und unklarer um so besser. Was “die anderen” sich natürlich nicht bieten lassen und so streiken sie ihrerseits bzw. vergrößern auf ihre Weise ihren Teil am Kuchen wieder.

Faschismus bzw. Korporatismus wäre dann so etwas wie ein zum Halt gekommener Verteilungskampf, im weitesten Sinne: ein handfest fixiertes, längerfristig diktiertes Arrangement bei der Frage der Zuteilung, eine grobe Befriedung der Zustände.“ — hanz

Written by dominikhennig

19. Oktober 2011 at 18:51

Und nachher haben wieder alle nichts gewusst

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Kalle Kappner auf freitum.de über den gegenwärtigen Marsch Europas ins Vierte Reich. Omnipotent Government reloaded. Lesebefehl!

Zuwachs in der Libersphäre

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Offenbar macht die liberal-libertäre Bloggosphäre ähnlich wie unsere Wirtschaft ihre ganz eigenen Boom- und Bust-Phasen durch. Nach Jahren des Dahinsiechens gibt es nun wieder jede Menge virtuelle Zuwanderung nach Libertopia, eine ganze Reihe vielversprechender Blogprojekte, deren wohlgefällige Aufnahme ich meinen Lesern an dieser Stelle sehr gerne ans Herz lege. Da wäre first and foremost das Projekt Freitum, dessen mit Verve vorgetragene Programmatik so schön ist, daß ich nicht umhinkann, sie in voller Länge zu zitieren:

Wir leben in einer Welt, die durch einen omnipräsenten Etatismus verseucht ist.
Wozu ein solcher Etatismus führen kann, hat das 20. Jahrhundert gezeigt – im
faschistischen Italien, im nationalsozialistischen Deutschland und in der kommunistischen Sowjetunion, aber nicht nur dort. Die Folgen waren und sind katastrophal. Von sozialistischen Intellektuellen wurden diese Folgen stets dem liberalen Wirtschaftsprogramm, also dem Kapitalismus, zugeschrieben. Dies ist jedoch weit gefehlt. Die tatsächlichen Aggressoren dieser Katastrophen waren Staaten und ihre exorbitanten Interventionen, die – wie von FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK in seinem Werk ,,Der Weg zur Knechtschaft“ richtig erkannt – immer zu Freiheitsentzug führen. Dennoch ist es denn Staaten dieser Erde durch Manipulation und Propaganda gelungen, die Menschen in ihre Knechtschaft zu führen, ohne dass sie es merken. Den Menschen diese Knechtschaft und die dahinter liegenden perfiden Machenschaften aufzuzeigen ist Aufgabe eines jeden Freiheitsfreunds. Nur so wird es auf lange Sicht für uns möglich sein, sich aus diesen uns angelegten Fesseln zu befreien. Dieses Blog widmet sich der politischen Philosophie des Libertarismus, welche sich als einzige konsequent und dezidiert für die Freiheit des Individuums, des Selbsteigentums und gegen obrigkeitsstaatliche Unterdrückung und Willkür einsetzt. Die Maxime dabei lautet: Maximale Freiheit, ohne die Freiheit anderer einzuschränken. Dieses Blog versucht zur Realisierung dieses oft als utopisch abgestempelten Ziels beizutragen. Vorgestellt werden Beiträge aus den verschiedenen Richtungen des Libertarismus, wie etwa der Austrian School of Economics, aber auch aus Richtungen, die punktuell interessante Wege vorschlagen, in ihrer Gänze jedoch abzulehnen sind, wie etwa der Minarchismus.

,,Richtungswechsel! Vom Wege zur Knechtschaft zum Wege zur Freiheit!“

Ebenso von mir zunächst unbemerkt startete vor gut zwei Monaten Freiwillig frei , das durch seine Professionalität und ebenso wie Freitum intellektuelle Kompromißlosigkeit besticht. Zum Selbstverständnis schreiben die Autoren:

Wir sind drei denkende Individuen, die die Meinung teilen, dass es in der Welt
nicht so rund läuft, wie es sollte und könnte. Auf dieser Seite wollen wir uns
untereinander und auch mit anderen austauschen, ob das, was wir als Realität
verkauft bekommen auch wirklich die Realität ist.

Ziel ist es, die wahren Ursachen für Kriege, Hunger und jede Art von Zwang und Gewalt in der Welt zu finden und sie zu benennen. Nur so ist es unserer Meinung möglich, Lösungen zu finden, die auch beständig sein können. Wir stellen unsere Überzeugungen hier zur Diskussion, um so zu sehen, ob sie standhalten. Von allen Teilnehmern an solchen Diskussion erwarten wir ehrliche Neugier und den Willen, die eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen, um letztendlich durch den Austausch von logischen Argumenten bereichert zu werden.

„Free Market Ideas“ auf die Fahnen geschrieben hat sich auch Eva Ziessler, deren aktuelles Statement zu den tragischen Ereignissen in Norwegen mich ganz besonders begeisterte!

Und als wäre das nicht alles schon Grund genug zur Freude ist auch der lange vermißte „Opponent“ wieder da – diesmal unter seinem Klarnamen Marco Kanne, aber wie man ihn kennt kein bißchen leisetreterisch!

Wünsche allen Kollegen, mit denen ich auch freundschaftlich verbunden bin, viel Freude beim Vermehren freiheitsfördernder Erkenntnisse und vor allem Spaß. Denn das ist das Geheimnis des Erfolges, wenn man bei all dem Wahnsinn der uns umtost dennoch nicht verbiestert sondern, um mit Horaz zu sprecheh – ridentem dicere verum – lachend die Wahrheit sagen kann!

Written by dominikhennig

26. Juli 2011 at 23:38

Veröffentlicht in Debatte, In eigener Sache

Tiefgekühlt

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Von Florian Grebner
Hallo sehr geehrte PaxxleserInnen,

ich möchte an dieser Stelle bekannt geben, dass das Projekt Paxx Reloaded vorerst auf Eis gelegt wird.

Gruß

DIeser Beitrag kann auch bei unseren Partnern diskutiert werden AnCaps.de

Written by floriangrebner

18. April 2011 at 19:13

Veröffentlicht in Szene, Zwischenruf

Die Eroberung des Glücks. Sechs unkontrollierte Stellungnahmen zu Anarchie und Alltag

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Von verschiedenen Anarchisten

1. Beitrag

Anarchie ist ein zwischenmenschlicher Gewalt- und Herrschaftsverzicht. Anarchie beschreibt eine Lebensform, keine Staatsform – daher kann sie keine Macht über Nacht verordnen, keine Revolution kann sie herbeiführen, wenn sie nicht bereits im Leben der Menschen vorweggenommen ist.

Anarchie kann von den Menschen vorweggenommen werden, indem sie versuchen, einen Gewalt- und Herrschaftsverzicht einzuüben. Die Gelegenheit dazu bieten Situationen, bei denen Handlungsalternativen gegeben sind. Jeder Mensch ist täglich vor Dutzende von Handlungsalternativen gestellt, die aufgrund von Vorlieben und Prioritäten entschieden werden: Entschieden wird zum Beispiel nach dem Preis, nach Qualität, nach Verpackung usw. Diese Kriterien-Liste könnte nun gelegentlich erweitert werden um die Punkte Menschlichkeit oder Verantwortung. Beispiel Urlaub: Viele Menschen machen sich scheinbar nichts daraus, daß in ihrem Dritte-Welt-Urlaubsland regelmäßig gefoltert wird. Vielleicht war die Reise so billig zu haben, vielleicht war die Exotik des Reiseziels entscheidend – dabei liegt es doch auf der Hand, daß sich niemand erholen kann, wenn andere schreckliche Qualen auszustehen haben.

Natürlich müssen das alle mit sich selbst abmachen, dennoch bleibt festzuhalten, daß Libertäre vielleicht nicht gezwungen sind, bei jeder Schweinerei mitzumachen. Um einen Gewalt- und Herrschaftsverzicht einzuüben, wäre es vielmehr richtig, emanzipatorische Handlungs-Maßstäbe zu entwickeln, um ein Gefühl für die eigene Integrität und die von anderen zu bekommen. Wo generell weniger gehorcht und mehr selbst gedacht wird, greift dieser Emanzipationsprozeß bereits um sich. Freiräume werden erschlossen, Selbstbestimmung wird geprobt.

Wenn eine libertäre Lebensform denkbar ist als zwischenmenschlicher Gewalt- und Herrschaftsverzicht, können Libertäre ihre Ideen nicht besser fördern, als daß sie Formen gewalttätiger Herrschaft nicht erobern wollen, sondern ihnen den Boden entziehen. Libertäre haben in der Geschichte tatsächlich in diesem Sinne gehandelt, ohne übrigens besonders Aufhebens darum zu machen. Im Dritten Reich zum Beispiel waren die Libertären von allen politischen Richtungen proportional am meisten im Widerstand aktiv.

Alltag und Anarchie müßte also eine Herausforderung sein, der Libertäre gewachsen sind. Für falsch halte ich dagegen solche Thesen wie »Es gibt sowieso nichts Richtiges im Falschen«, mit denen sich manche selbst der Möglichkeit berauben, Facetten ihrer libertären Utopie in ihrem heutigen Handeln vorwegzunehmen. Andere setzen sogar zynisch auf eine verschärfte Ausbeutung, die zu größerer Verelendung und damit angeblich zu einem größeren libertären Potential in der Gesellschaft führen soll. Ich halte den Versuch für sinnvoller, sich mit Selbstverantwortung und Courage dem eigenen Ideal mit langem Atem graduell anzunähern. Wem das alles viel zu wenig dramatisch und viel zu unrevolutionär ist, sei an jene schwarze Buspassagierin erinnert, die sich in den 60er Jahren in den Südstaaten auf einen für Weiße reservierten Platz gesetzt hat. Sie hat eine Lawine losgetreten und das Fanal für die Bürgerrechtsbewegung in den USA gegeben. Solches Handeln zielt nicht auf einen dramatischen Effekt oder auf machtpolitisches Kalkül, sondern darauf, die eigene Integrität zu wahren. Anarchie beschreibt eine Lebensform: Eroberung des Glücks, statt Eroberung der politischen Macht.

2. Beitrag

Anarchie und Alltag ist für mich ein Gegensatzpaar. Alltag ist grauer Alltag, Einerlei, funktionieren müssen, ertragen müssen u.s.w. Die Weigerung, das ganze Leben grau werden zu lassen, ist noch nicht Anarchie, sondern eine Art Gegengift. Einen Schritt darüber hinauszugehen ist schon ein Fuß in der Tür zur Anarchie.

Der vermittels der Ökonomie umsichgreifende Leistungsgedanke ist das stärkste Hindernis, um im Alltag Freiheit und Lust auszuleben. »Was, du kennst dieses Buch nicht, du kennst diesen Film nicht? Du hast noch nie die Pyramiden gesehen oder die norwegischen Fijorde oder Macao? Pfui!«

Das leben für andere macht nicht glücklich.

Vergleichendes Glück ist eine Falle. »Ich bin glücklicher als du«, ist ganz dem Konkurrenz-gedanken geschuldet. Diesem Glücklichen glaube ich nicht. Sein Glück ist zum Vorzeigen, ein »messbare« Leistung – kein Selbstzweck.

Aber auch der in-sich-Vergleich hinkt: Liebesglück macht glücklicher als kreative Tätigkeit.

Das mag eine zeitlang so sein, aber grundsätzlich schließen sich die Lüste nicht aus, eher multiplizieren sie sich noch. Der Sinn des Glücks ist Selbstzweck der Lebenden und nicht politische Strategie.

Politische Glückversprechen setzen auf der Seite des Empfängers der glücklichen Botschaft eine Konsumentenhaltung voraus. Staat bedien mich, Politiker bedient mich, in diesem Terrain tummeln sich auch gerne politische Demagogen und sonstige Abzocker. Wie ist das Preis-Leistungsverhältnis der Anarchie? So wird sich nie was ändern.

Die Eroberung der Produktionsmittel ist eine solche Glücksversprechung, eine Einpunktinitiative, die in ihrer krudesten Form alles andere ignoriert. Ich selbst bin kein Klassenkämpfer, Klassenkampf ist eine agitatorische Simplifizierung zwecks Machtausübung-Macht als Macht über andere sollte Gegenstand libertärer Kritik bleiben.

So versuche ich im Alltag mit Menschen zu verkehren unabhänging von ihrer Stufe in der Hierarchie, ich versuche die eigene Verantwortung anzusprechen. Diejenigen, die ihr Handeln von »objektiven« Verhältnissen ableiten, keinen eigenen Spielraum sehen, sind mir wenig zugeneigt-so’n Anarchist.

Zäsur

Lange genug zum Glück gezwungen, werden die Menschen ihr Unglück »freiwillig« auf sich nehmen, allenfalls ein schräges Grinsen, ein deplazierter Furz oder das Kotzen beim Verbrennen des verhassten Feindes sind Signale des Lümmels Körper, die noch ein wenig hoffen lassen.

Moderne Kenntnisse aus der Psychologie werden von Politikern nur genutzt, um Herrschaft aufrecht zu halten. Die verworrene Lage von äußerem und innerm Zwang sollte Anlass geben, zugunsten der Eindeutigkeit des freien Willens und seines Scheiterns zu entwirren:

1. Libertäre Utopie ist eine lust- und genussvolle Angelegenheit, es bedarf dafür weder übermenschlicher Solidarität, noch opferbereiter Gutmenschen.

2. Jeder, der sich bemüht, Freuden ohne Angst zu leben, freigelassene Wünsche, glückliche Leidenschaften, lernt, wenn er auf ihre Einschränkung stößt, dass dies Glück über das Ende des Staates und der Ware führt. [Vaneigem]

3. Es gibt derzeit keine Chance für die Utopie, jeder der sich in der Hoffnung darauf verzehrt, blockiert mehr Leben, als er glaubt hervorzubringen.Übrig bleibt, das gelebte Leben, die glücklichen Momente, nicht nur als Zufall oder Kompensation zu sehen, nach dem Motto: erst die Arbeit, dann das Vergnügen, sondern das Spannungsfeld zwischen mehr leben wollen und nicht können vor lachen, aushalten und dabei die Lust nicht verlieren.

3. Beitrag

»Zur Psychopathologie des Alltagslebens« – so heißt ein von Sigmund Freud 1904 veröffentlichtes Buch. Der Untertitel zeigt die Richtung an, in die er seine Untersuchung führt. Sie handelt »Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglauben und Irrtum«, kurz über all die kleinen und größeren Abweichungen vom reibungslosen Funktionieren, wie sie auch in unserem Alltag nur allzu oft für Ärger, Irritation oder Heiterkeit sorgen.

Die Entschlüsselung der dahinter stehenden seelischen Motive gerät zu einem psychoanalytischen Wagnis mit geradezu subversiven Resultaten. In der unbeabsichtigten Entgleisung leuchtet verborgene Innenwelt auf. Ein aus den Tiefen des Unbewußten stammender Protest gegen die gesellschaftlichen Verhaltenszumutungen verschafft sich blitzlichtartig Luft.

Was sich im Getriebe des Alltags als Fehlleistung darstellt, ist in Wahrheit Manifestation eines nicht zu unterdrückenden Freiheitskampfes der Seele gegen die Zwänge des entfremdeten sozialen Mechanismus.

Selbst die bewußt angestrebte Unterwerfung stößt so an ihre Grenzen. Dafür weiß Freud zahllose Beispiele anzuführen, etwa wenn er die Geburtstagsfeier im Büro beschreibt, in welcher ein Belegschaftsmitglied den Toast ausspricht und die Kollegen dazu auffordert, auf das Wohl des Chefs aufzustoßen.1

Immer wieder bringt sich in derartigen Handlungen ein nicht zu korrumpierender Teil unseres Inneren prägnant zur Darstellung – auch gegen unseren bewußten Willen. Aus einer anarchistischen Perspektive können derartige tiefenpsychologische Interventionen in die Einförmigkeit der alltäglichen Lebensäußerung durchaus hoffnungsfroh stimmen: Am Ende besteht das Pathologische gerade in der von uns vorgefundenen Normierung des Alltagslebens. Nicht aber in der unwillkürlichen Abweichung vom Trott, die ganz im Gegenteil eine beachtliche Leistung unseres seelischen Apparates darstellt.

Der in uns schmorenden Befreiungsenergie durch bewußtes Experimentieren mit unserer eigenen Lebensgestaltung immer mehr einen Weg zu bahnen – Schritt für Schritt aus dem Dunkel der unbewußten Verdrängung hin zum Tageslicht der selbstbestimmten Tat – das wäre ein formidables Programm für mehr Anarchie im Alltag!

Interessante Anregungen und Bausteine hierzu finden sich nach meinem Empfinden auch heute noch bei dem us-amerikanischen Libertären Henry David Thoreau [1817 – 1862].

Nicht nur sein schriftstellerisches Werk, sondern auch seine ganze Persönlichkeit setzte Thoreau an das Bestreben, die individuelle menschliche Existenz als auszugestaltenes Kunstwerk der Selbstverwirklichung zu begreifen.

Zu diesem Zweck richtete Thoreau an jeden einzelnen seiner Zeitgenossen den zivilsationskritischen Appell, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und dem einfachen Leben näherzutreten. Seine 1854 verfasste Begründung ist bis heute von ungebrochener Aktualität geblieben:

»Die meisten Menschen, selbst in diesem vergleichsweise freien Lande, sind aus lauter Unwissenheit und Irrtum so sehr von künstlichen Sorgen und überflüssiger grober Arbeit in Anspruch genommen, daß die feineren Früchte des Lebens gar nicht von ihnen gepflückt werden können.« 2

Erst das Herausarbeiten aus den verinnerlichten Zwängen und kulturellen Manipulationen der bürgerlichen Leistungs- und Erwerbsgesellschaft kann einen authentischen Zugang zu dem eröffnen, was in jedem und jeder von uns in Richtung Freiheit drängt.

Diese Aufgabe will jeden Tag aufs Neue ergriffen sein. Die Strukturierung des individuellen Alltags als unablässiger Prozeß der immer wieder neu zu erringenden Selbstverwirklichung – so ließe sich Thoreaus Voluntarismus in Hinblick auf das Thema der heutigen Veranstaltung formelhaft zusammenfassen.

Dazu ist jeder Mensch frei, aber auch verantwortlich. Hierauf legt Thoreau besonderen Nachdruck. Er betont, daß wir in den allerseltensten Fällen nur durch die Umstände zum Beharren im Status Quo gezwungen sind. Die Behauptung, nichts ändern zu können, ist fast immer bloße Rechtfertigung für eigene Bequemlichkeit und Passivität. So bleibt aber die stets vorhandene Möglichkeit der Wahl eines Besseren unausgeschöpft. An dieser Verantwortung für das eigene Leben muß festhalten, wer sich nicht der bloßen Erduldung des Alltags ausliefern will. 3

Die Eroberung des Glücks ist nur über die bewußte Wahl und Auseinandersetzung mit sich selbst zu befördern. Allein auf diesem Wege kann ein Freiraum nach dem anderen geschaffen und zugleich die eigene Erpressbarkeit minimiert werden.

Und gerade der unbedingte Wille, sich nicht mehr erpressen zu lassen, ist Voraussetzung für Protest, Rebellion, Gehorsamsverweigerung und zivilen Ungehorsam. Daran hat uns vor drei Tagen der 50. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR nur zu deutlich erinnert.

All die großen und kleinen Autoritäten zählten schon immer darauf, daß uns das Lachen vergeht, sobald sie sich groß vor uns aufbauen und uns in ihren Amtsstuben verrechnen, observieren oder übersehen.

In aller Gelassenheit entgegnete ihnen Thoreau: »Laß nichts zwischen dich und das Licht treten. Respektiere die Menschen nur als Brüder.« 4

In diesem Sinne ist eine Revolutionierung des Alltags jederzeit möglich.

1 Vgl. Sigmund Freud: Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglauben und Irrtum, [Fischer Taschenbuch Verlag] Frankfurt am Main, 298.-310. Tausend, 1974, S. 50.

2 Henry David Thoreau: Walden. Ein Leben in den Wäldern, [Gustav Kiepenheuer Verlag] Weimar 1964, S. 8.

3 Vgl. Stefan Kratsch: Menschen sollen wir sein, … nicht Untertanen, in: Graswurzelrevolution, 31. Jg., Nr. 274, Dezember 2002, S. 7.

4 Henry David Thoreau: Aus den Tagebüchern 1837 – 1861, [Tewes Verlasgbuchhandlung] Oelde 1996, S. 58.

4. Beitrag

I

Was ist Anarchie? Zunächst ist das ein verfassungsrechtlicher Begriff, wie Monarchie oder Polyarchie. An-Archie heißt aber nicht, dass es keine Verfassung gibt – denn irgendwelche Regeln gelten ja immer, schlimmstenfalls die des Faustrechts.

Sondern Anarchie bedeutet, dass es keine festen, absolut gültigen Verfassungsstrukturen gibt: alle Einrichtungen sind Werkzeuge, die begrenzten Zwecken dienen und jederzeit zur Disposition stehen.

Die Anarchie selbst ist nur ein »allgemeines Modell wandelbarer Strukturen« [Stowasser]. Die einzigen Regeln, die in einer Anarchie gelten, sind Regeln, welche den Pluralismus der Verfassungsformen garantieren sollen.

Verfassungsbegriffe werden allerdings von ihren Anhängern gerne zu Normbegriffen ausgeweitet. So war die Demokratie ursprünglich ein Staatsprinzip, während sie heute einen Bauplan für alle möglichen Institutionen darstellt; sie gilt sogar als »Lebensform«. Ebenso mit der Anarchie: man kann sich ausmalen, dass nicht nur die öffentliche Ordnung, sondern alle Lebensverhältnisse libertäre Gestalt annehmen sollen.

II

Bedeutet Anarchie als Verfassung das Fehlen einer festen, unbedingt geltenden Ordnung, dann könnte Anarchie, übertragen auf den Alltag, entsprechend bedeuten: den Situationen des Lebens nicht mit bestimmten, dauerhaft festgelegten und als einzig angemessen und richtig geglaubten Strategien und Haltungen gegenüberzutreten.

Hierbei geht es nicht um Willkür, sondern um Unvoreingenommenheit, um die Präzision des Handelns in jeder Situation, welche mit starren Schemata nicht zu erreichen ist.

Verzichtet man auf Forderungen wie »Das darf nicht sein!« oder »Das muss aber!«, gewinnt man Unabhängigkeit von den äußeren Umständen des Lebens. Wer seine Haltung von der Situation her aufbaut und nicht Situationen an vorgegebenen Maßstäben beurteilt, kommt mit jeder Lage zurecht. [Und zwar nicht, indem man erfolgreich damit umgehen kann, sondern indem man auf das Dogma »Ich darf nicht scheitern!« verzichtet.]

Wer sich nicht länger auf die Furcht stützt, zu scheitern, es aber auch nicht nötig hat, diese Furcht nicht zu haben, für den ergibt sich die Chance, in jeder erdenklichen Lage die innere Zufriedenheit zu bewahren. Über diese Fähigkeit zu verfügen, nenne ich »Reife«. Niemand hat sie ganz, glaube ich, aber man kann sie mehr oder weniger haben, und je mehr man sie hat, desto besser geht es einem.

III

Ist dem nun aber so, dann ergibt sich als Folgerung, dass man die Anarchie als Verfassung um so weniger braucht, je mehr man die Anarchie als Lebensform im Alltag verwirklicht hat.

Sollten wir demzufolge nicht viel lieber, anstatt müßig herumzupolitisieren, die innere Zufriedenheit in allen Lebenslagen zu entwickeln versuchen?

Im Prinzip ja, aber die Anarchie als öffentliche Ordnung ist dennoch nicht ganz unnütz. Ich sehe drei Vorzüge:

Erstens: Anarchie verringert unnötiges Leiden. Niemand ist ganz reif und daher ärgert sich jeder in gewissem Maße mit autoritären Verhältnissen herum. Eine größere Chance, mit dem eigenen Dickkopf durchzukommen ist für die meisten Menschen durchaus wünschenswert.

Zweitens: die Anarchie bietet günstige Umstände, um Reife zu entwickeln.

Sie läßt den Menschen die Freiheit, ihren eigenen Unsinn zu machen und daraus zu lernen; sie nimmt ihnen weitgehend die Chance, ihr Unglück auf die Verhältnisse zu schieben. Und da in der Anarchie die öffentlichen Strukturen die Menschen weder auf Anpassung noch auf Autonomie festlegen, können sie beides ausprobieren und lernen, dass ihnen weder das eine noch das andere viel bringt.

Drittens: es gibt ja nicht nur den Alltag! Die alten Griechen entdeckten schon, dass der Freie Mensch sich gut fühlt, jedenfalls ein gehobenes Lebensgefühl besitzt, das der Untertan nicht kennt. In der Anarchie trägt es den Namen: über mir ist nur der leere Himmel.

Dieses Gefühl läßt sich im Alltag durchaus genießen, es kann ihm Leichtigkeit geben und die Möglichkeit, Freiheit tagtäglich zu zelebrieren.

5. Beitrag

Glücklichsein ist Ziel und Sehnsucht der Menschen überhaupt. »Der Mensch wird getrieben, beherrscht von der Sorge: wie werde ich glücklich?« [Ludwig Marcuse, »Meine Geschichte der Philosophie«, Diogenes Verlag]

Die Philosophie hatte sich schon in der Antike dieser Sehnsucht angenommen und sie nicht mehr losgelassen, bis in die heutigen Tage. Am Eingang zum berühmten Garten des Epikur war zu lesen: »Freunde, das ist ein guter Ort: hier wird nichts mehr verehrt als das Glück«. Für das Verhältnis von Tugend und Glück galt ihm: »Man ehre die Tugend, wenn sie zum Glück beiträgt; wenn nicht, gebe man ihr den Abschied.« Reicht ein solches Glücksgefühl, um den Pessimismus, für den Anlaß genug ist, immer neu zu überwinden und nicht zu resignieren? [Schopenhauer: »Leben ist Leiden« und der Schmerz eine »reinigende Lauge«.] Beeindruckend und tief begründet erscheint demgegenüber die aus einem Selbstfindungsprozeß resultierende Glückserfahrung, wie sie Gustav Landauer Karl Starkblom, seine Romanfigur in »Der Todesprediger«, erleben ließ: »Ich bin ein alter Mann, aber – das sage ich heute mit frohem Stolz – ich habe erreicht, wonach ich mich so heiß gesehnt, ich bin wieder jung geworden, und ich empfinde mit der Jugend; nein, ich bin sogar ihr Vorgeschmack und Vorempfinder. Zugleich bin ich bei den jungen Zigeunern des Bürgertums, die ich aufmuntere, meine Wege zu betreten, und zugleich bin ich beim jungen Proletariat, dem ich die Freiheit bringen will, jetzt nicht die ökonomische Freiheit, die es selber erringen wird, nein, die Freiheit des einzelnen, der kühn und unbesorgt allem entgegenblickt. Ich schwanke nicht von einem zum anderen, in mir sind die Gegensätze vereint, und widerspruchsvoll ist nur das Wort, nicht das Leben. Mein Leben ist jung und reich, folge mir nach, wer kann!«

Camus beschreibt diesen Zustand des Glücks: »Auf der Mittagshöhe des Denkens lehnt der Revoltierende die Göttlichkeit ab, um die gemeinsamen Kämpfe und das gemeinsame Schicksal zu teilen. Wir entscheiden uns für Ithaka, die treue Erde, das kühne und nüchterne Denken, die klare Tat, die Großzügigkeit des wissenden Menschen. Im Lichte bleibt die Welt unsere erste und letzte Liebe. Unsere Brüder atmen unter dem gleichen Himmel wie wir; die Gerechtigkeit lebt. Dann erwacht die sonderbare Freude, die zu leben und zu sterben hilft und die auf später zu verschieben, wir uns fortan weigern.« Die innere Zerrissenheit wird überwunden, das seelische Gleichgewicht erreicht durch einen libertären Lebenssinn, Gleichheit – Gerechtigkeit – Freiheit – Ordnung ohne Herrschaft [ohne Hierarchie, ohne Staat, ohne Zentralismus / föderatives Prinzip] – ohne kapitalistische Wirtschaft, wer ohne Lebenssinn nicht leben kann, den machen sie glücklich, aber nur in der Einheit von Durchblick und Tat!

Die wesentlichen Ziele des Anarchismus geben Durchblick. Sie sind der Faden durch das Labyrinth der Lügen und Heuchelei. Es ist ein gutes Gefühl, sich nicht an der Nase herumführen lassen zu müssen, die Ursachen gesellschaftlicher Mißstände und Ungerechtigkeiten zu erkennen, das Glücksgefühl der Unabhängigkeit, einer gewissen Überlegenheit ohne Überheblichkeit zu erfahren.

Sie sind aber auch unabdingbar die Anleitung zur Tat. Der Gedanke an eine Revolution irritiert hier nicht, er gehört zum Kontext des Glücks. Die Revolution auch in unserer Zeit ist nicht undenkbar. Erinnert sei an die 1. Hälfte der revolutionären Ereignisse 1968 in Paris, die den Präsidenten Charles de Gaulle eine Flucht planen ließen. Sie könnten die Übereinstimmung von Ideal und Wirklichkeit bringen. Aber die Revolution gehört derzeitig nicht zum Kontext des Alltags, wohl aber die libertäre Subversion, die Veränderung in kleineren Schritten, Widerstand und Widerspruch.

Der Wirkungsbereich einer solchen Subversion, ist zunächst keineswegs mit Vorrang landesweit zu bemessen, sondern auf das eigene Umfeld einschließlich der Arbeitsstelle sowie auf die Kommune und die Region, wenn auch der sich immer mehr beschleunigende Globalisierungsprozeß Kontakte sogar über die Ländergrenzen hinaus erfordert. Anarchismus »im stillen Kämmerlein« reicht nicht einmal zum Trost, geschweige denn zum Glück. Bei Heuchelei, Opportunismus und Feigheit gehen die libertäre Gesinnung und die Selbstachtung vor die Hunde.

Zeichen sind zu setzen und durch Taten bzw. Unterlassungen auf den Punkt zu bringen. Auf diesem weiten Feld sei auf die Verweigerungshaltung hingewiesen. Sie hat bereits in der Geschichte ihre gewaltige Wirkung gezeigt und eine Kolonialmacht in die Knie gezwungen [Gandhi]. So ist es an der Zeit, den Legitimationsausweis dieses Systems, die Wahlen und ihre Ergebnisse, als geschickte Schummelpackung zu entlarven. Auf den Vorschlag eines Wahlboykotts sagte doch jemand, daß er jeden Einfluß des Wählers eliminiere, und unterstellt so, als ob es diesen Einfluß überhaupt gäbe. In ungelenken Schriftzügen stand an einer Häuserwand im Prenzlauer Berg: »Wählt nix, sie bescheißen jeden!«

Praktizierte Solidarität und gegenseitige Hilfe überwinden Existenzangst und bringen die Freude ins eigene Leben zurück. »Geld ersetzt menschliche Beziehungen. Wenn wir von der Tyrannei des Geldes loskommen wollen, müssen wir genau das einfach rückgängig machen: Ersetzen wir Geld durch unsere Beziehungen zueinander! Das geht ganz leicht und alltagsnah« [GWR Nov. 1999/243, Seite 12].

Zur Stabilisierung dieser Solidarität können systemüberwindende Einrichtungen in quasi exterritorialen Räumen beitragen, in denen die staatlichen Verwaltungen durch alternative Lebensformen ersetzt werden. Weltweit gibt es dazu vielfältige Modelle von Gemeinschaftsexperimenten, als Keimzellen einer nachkapitalistischen Gesellschaft?

Ein Resümee der weltweiten Entwicklung seit 1996 mit zunehmender Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und Armut rechtfertigt und verlangt subversive Aktivitäten gerade auch der benachteiligten Bevölkerungsschichten.

6. Beitrag

Alltag und Anarchie. Wer träumt nicht einmal davon? Aber, aber … – Wir sind Gefangene des Systems, schrieb einmal Oskar Maria Graf in einer Buchvorstellung in den USA in den 50er Jahren.

Weit und breit – nix von sozialer Revolution. Und heute hier in der Bundesrepublik – ein Lacher. Allerdings glaubt man den Medien: Aufstand und Plünderungen im Irak. Na wer sind die Schuldigen???

Allerdings gibt es ein Land – nein nicht das … Es fängt gleichfalls mit A an – Argentinien – hier gibt es einen Tauschhandel, in dem mehr schlecht als recht 3 Millionen Menschen beteiligt sind.

Ja, ja, die Marxisten haben Recht, es hat noch keine Expropriation statt gefunden etc… Jedoch, ach wie, sie tun es und wissen oftmals selbst nichts von der anarchistischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts bis 1930. Schade, oder nicht?

Es gibt mehr als 100 besetzte Betriebe. Und es geht eben doch. Wie? Ganz ohne Chefs? Eine Textilfabrik, grossteil Frauen, hat’s zwei Jahre lang bewiesen. Bis sie vor kurzem von der Staatrepression geräumt wurde. Vor allem Einschüchterung? Nein, es geht weiter. Allerdings mit orthodoxen ML-Trotzkisten usw. Die Assembleas, die Stadtteilversammlungen werden durch deren Charakter ad absurdum geführt. Angeekelt vom Führungsanspruch der jeweils richtigen Partei bleibt die Bevölkerung jenen fern, zu Recht.

Es kommt noch besser. Vor einem Monat Präsidentschaftswahlen. Die traditionelle Linke mobilisiert alles. Die Rechnung erfolgt prompt: 3%! Vielleicht haben sie jenes Transparent, das in Argentinien Furore machte, nicht verstanden. Polemik – gewiss! Que se vayan todos! Sie alle sollen gehen! Sie, die PolitikerInnen, KapitalistInnen, Banker, Multis, … und auch die traditionelle orthodoxe Linke.

In jener Dezembernacht 2001, als die Regierung den Ausstand ausrief – riefen die Menschen zum Widerstand auf. Sicherlich, es kam vieles zusammen zur Empörung. Erstaunlich, ohne die allwissende Partei, ohne Durutti [selbstkritisch] … Die Leute gingen mehr oder weniger spontan auf die Straßen. Details bleiben ausgespart. Ohne Avantgarde, ohne die alleingültige Losung. Eines blieb bis heute, was die Menschen riefen: Ihr könnt gehen!

Da Argentinien eine Militärdiktatur hatte, ist auch die extreme Rechte [zum Glück] ohne Gehör. Ja, das Land am La Plata und Patagonien [lang ist es her; war mal ein libertärer Aufstand] ist in einer großen sozio-ökonomischen Krise. Aber noch lange keine Revolution.

Ins große Nachbarland Brasilien. Helmut Thielen, ein Sozialphilosophie-Professor, begleitet seit Jahren kritisch wohlwollend die Landlosen-Bewegung. Alles verläuft zäh und mühsam. Und die kleine Mehrheit, die durch gewaltfreien Widerstand ein kleines Stück Land erhielten, sind – wen sollte es wundern – keine RevolutionärInnen. Die Mehrheit sind so gesehen – zu 90% – MikrokapitalistInnen und so ist es weltweit. Selbst im großen Russland. Und wie p.m. und andere AnarchistInnen von dort berichten, überleben viele durch Stadt-Land Nahrungsanbau und Tausch. Ihnen Kommunismus oder Anarchismus anzubieten, ergibt ein abweisendes Händeschütteln.

Und hier? Viele hoffen noch auf die [un]soziale Marktwirtschaft. Oder gar schlimmer auf einen neuen Führer?! Ja, es gibt die Mikroinseln wie Projekt A in Neustadt, Kommune Luther, die Kommune Niederkaufungen, die anarchosyndikalistische Initiative FAU, die Bibliothek der Freien – alles das Sprengsel innerhalb des neoliberalen Kapitalismus. Wer denkt nicht an das Mekka Spanien, und doch hier ist heute das Konsummodell das noch bestimmende.

Also aus der Traum, wie »Ton Steine Scherben« einst sangen? Wie würde doch der »Oberlehrer Maximo Anarchico« sagen: Ein langer dorniger Weg, oft mit Rückschlägen, Verfehlungen, Hoffnungslosigkeit steht an. Was bleibt anderes übrig. Weiter die Schritte, derer vielen es bedarf zu gehen. Viele, vielleicht auch einige hier, erwarten zu viel!

Doch vor dem Haben – wie der Psychoanalytiker Fromm schrieb – ist das Sein. Das Klassenbewusstsein ist wohl berechtigt, doch diskreditiert. 1923: Zwei Personen. Auf einem internationalen Treffen von KP-Vertretern sagte in Moskau Victor Serge seinem französischen Genossen: Hier herrscht nicht die Arbeiterklasse, sondern die Partei über die Arbeiterklasse. Gleichfalls sinngemäß Max Nettlau. Mögen sie, die Bolschewiki gewonnen haben mittels Repression usw. Eines Tages wird sich diese »Sieg« rächen. Dies ließ 70 Jahre auf sich warten.

Und 1968? Kaum war die schwarze Fahne in Frankreich zu sehen, »erblühten« die roten. Untereinander noch zerstritten sie sich in der berüchtigten K-Gruppen-Zeit. Die Sieger waren hier die Grünen. Linke Geschichte ist halt eben nicht immer emanzipativ. Denn bekannt ist heute der Spruch: Wer hat uns verraten – die Sozialdemokraten. Und wer war dabei – die grüne Partei!

Stellt sich nur die Frage: Wie viele solcher vermurkster Experimente müssen noch folgen? Tja, wie wäre es denn mit dem – immer wieder – »neuen« Bewusstsein der Freiheit. Zynisch, nicht mit dem Lichtschalter, der Mode, der 100%-Bewegung, dem Mythos, der Wissenschaft, der »es muss sofort-sogleich und immer richtig Vision« entsprechen.

Die Offenheit ist eben verbunden mit Unwägbarkeiten. Selbst das Glück ist nicht ewig! Ja selbst, was Glück ist – ist eben offen. Deshalb muss Anarchie nicht alles sein. Doch die Eroberung des Glücks ist in ihr enthalten – jenseits von Licht und Schatten.

Somit zum Schluss der »Herr Oberlehrer« – welch‘ Zyniker – die Wirklichkeit kann und soll sich dem »Ideal« annähern. In diesem Sinne – ES LEBE DAS GLÜCK bzw. DIE FREIHEIT. Mit anderen Worten: DIE ANARCHIE.

Diesen Beitrag kann man auch bei unseren Partner diskutieren: AnCaps.de

Written by floriangrebner

16. April 2011 at 19:08

Veröffentlicht in Ethik